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Die Oktoberfest - Ausfahrt

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Spandauboxer

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25. Feb. 2019
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Nuthetal
Ich möchte euch eine kleine Abenteuergeschichte erzählen, aus einer Zeit, die ( mittel- ) älteren Semestern hier noch gut bekannt sein dürfte, nämlich die Zeit als es noch kaum Mobiltelefone gab und noch nicht jeder so ein Bimmelgerät in der Hosentasche hatte.


Es muss so 1996 oder 1997 gewesen sein, da lud mich mein ehemaliger Motorradfahrlehrer Gerhard zu einer Motorradreise nach München zum Oktoberfest ein. Solche Touren machte er regelmäßig mit ehemaligen Schülern und war, wie er meinte immer „eine Mordsgaudi“. Gerhard musste es wissen, war er doch waschechter Oberbayer.


Ich bin eigentlich kein Oktoberfest – Fan, aber die Tour reizte mich, wollte ich doch gerne mal sehen, was für andere Leute so bei ihm ihren Motorradführerschein gemacht hatten, und fahren ist ja immer gut.


Also sagte ich zu.


Ein paar Wochen später an einem Samstag im September trafen wir uns also in der Fahrschule, Gerhard mit seinen Co - Partnern und etwa zehn weitere in lederne Hosen und Nylonjacken gehüllte Menschen, die vor Vorfreude, gespannter Erwartung und guter Laune sprühten. Man lernte sich etwas kennen, die vielen Vor – und Spitznamen hatte ich natürlich gleich wieder vergessen, aber so etwas schleift sich ja gewöhnlich bei vermehrtem Gebrauch ein.



Ich musste noch Geld holen fürs Hotel und für Benzin, und ging schnell einen Block weiter zur Bank um 300 Mark abzuheben. Ran an den Automaten, Karte rein, Nummer getippt...
Der Bankomat hatte ein Problem, die Karte kam raus, aber kein Bares.
Also nochmal, Karte rein, Nummer getippt... diesmal klappte es und ich war 300 Mark reicher. Ob der Automat jetzt zweimal abgebucht hat? Das würde ja eine teure Reise werden. Solche nutzlosen Gedanken nervten mich dann den ganzen Tag. Aber wenn man es finanziell nicht so Dicke hat, wie ich damals, egal. Ich ging zurück zur Fahrschule. Da machte man sich gerade abreisefertig. Alles wuselte geschäftig durcheinander. Was ich nicht wusste: In meiner Abwesenheit war ein Briefing durchgeführt worden, bei dem jeder einen Zettel mit einer Routenkarte und der Adresse des Hotels in Bayern ausgehändigt bekam. Da ich den meisten anderen ein unbekanntes Gesicht war, hatte man mich auch nicht vermisst. Gerhard hatte mit der Organisation zu viel zu tun, als sich um solche Details zu kümmern.


Alle verstauten ihre Habseligkeiten und sattelten auf. Mit Gebrumm ging es im Konvoi durch Berlin, quälende Ampelphasen im samstäglichen Einkaufsverkehr. Wenn wir bloß schon aus der Stadt raus wären. Ich dachte immer wieder an den Geldautomaten. Gerhard fuhr in weiser Voraussicht mit seinem Golf mit Motorradtrailer mit.


Auf Landstraßen fuhren wir Richtung Dresden, wir wollten durch die Tschechei nach Bayern fahren. Die erste Übernachtung sollte in der schönen Stadt Pilsen sein, damals war sie erst im Begriff, wieder eine schöne Stadt zu werden. Unser Hotel lag in der Innenstadt, im Keller eine Diskothek. Wir stellten die Böcke im Hof ab ( abschließbar, sicher ist sicher ) und machten uns frisch zum Abendbrot. Danach fanden wir den Keller mit dem Tanzsaal, der uns erst etwas seltsam vorkam, an jedem Tisch saß eine einsame junge Schönheit. Komisch, so viele Damen ohne Begleiter? Als sich die Augen ans Halbdunkel gewöhnt hatten, konnte man hinten in einer Ecke dann auch die „Beschützer“, muskelbepackt, kahlrasiert und mit Lederjacken sitzen sehen. Wir ignorierten das Ensemble und tanzten ausgelassen mit dem ein oder anderen Schnaps und Bier dazu.


Am anderen Morgen nach einem guten Frühstück ging es weiter. Wir stiegen auf und starteten Richtung Bayern, ab und zu schnappte ich bei Tankpausen einen Ortsnamen mit einem „Hirsch“ darin auf und vergaß ihn wieder. Die Fahrt durch Tschechien war irgendwie haarig. Obwohl wir nicht langsam unterwegs waren, setzten die Einheimischen auf den Landstraßen alles daran, an uns vorbei zu kommen. Ich wurde einmal von einem vollbesetzten ZUK – Transporter von hinten überholt, in meinem Fahrstreifen, so dass ich einen Ausweichhaken auf die Standspur machen musste um nicht in den Graben geschossen zu werden.


Bayrisch Eisenstein, endlich. Keine Buckelpisten mehr, zivilisierte Verkehrsteilnehmer! Wir machten die eine oder andere Pause, zum rasten und tanken und für die Durchblutung der Gliedmaßen. Das Wetter war gut, ein schöner Spätsommer. Meine 2 – Ventiler ( die ich heute noch fahre, damals war sie noch fast taufrisch ) lief wie eine Nähmaschine. An Deggendorf und Landshut vorbei, bei Wasserburg am Inn passierte es dann, dass drei Leute aus der Gruppe die Abfahrt auf die richtige Landstraße verpassten. Alle anderen hielten an einer sicheren Stelle und wir beratschlagten uns. Ich erklärte mich bereit, den Dreien hinterherzufahren und zu versuchen sie einzuholen. Also gab ich Vollgas und fuhr den drei Ausreißern hinterher.


20 Kilometer weiter begriff ich, dass hier etwas gerade richtig schief lief. Ich kehrte also zurück zum Ausgangspunkt, wo die anderen warten wollten. Dort war aber niemand mehr.


Später hörte ich, dass die drei über Umwege zur Gruppe gefunden hatten, man nahm an dass alle da wären und fuhr geschlossen weiter.


Dass ich fehlte, merkte erst Gerhard dann später am Hotel im Zielort südlich von München, als er einen Zimmerschlüssel nicht los wurde.


Es war nachmittag, und ich stand alleine an der Kreuzung bei Wasserburg und wusste nicht mehr was ich jetzt tun sollte. Da ich mich ja für irgendeine Richtung entscheiden musste, ballerte ich Richtung Westen, zum Starnberger See. Langsam wurde es kühl, die Sonne ging unter. In Starnberg ging ich in meiner Verzweiflung zur Polizeiwache, fragte ob ich das Telefon benutzen könnte. Damals gab es ja noch Anrufbeantworter mit einem kleinen tragbaren Tastaturgerät, mit dem man über den Telefonhörer den eigenen Anrufbeantworter abhören konnte. Ich hoffte, Gerhard hätte mir Instruktionen aufgesprochen, in der Hoffnung dass ich das irgendwie abhören könnte. Nichts.


Meine Frage nach einem Ort mit „Hirsch“ oder so konnte von den Polizisten nicht beantwortet werden.


Die Hoffnung zerschlug sich, unverrichteter Dinge verließ ich die Polizeiwache. Es war jetzt Dunkel und Nieselregen setzte ein. Was nun? Nach Hause zurück nach Berlin? Das wollte ich nicht, hätte ich auch physisch und mental nicht mehr geschafft. Irgendwo ein Zimmer nehmen? Naja, letzte Maßnahme.


Der Regen war kalt und wurde stärker, durchgefroren fand ich eine Bushaltestelle mit Wartehäuschen, in die ich mich verkroch. Machte mir ein Zigarillo an und klappte meine Karte aus. Irgendwo muss es doch einen Ort mit „Hirsch“ im Namen geben.
Mit vor Kälte zitternden Fingern fuhr ich im Schein des Feuerzeugs über die Karte, mein Blick blieb an dem Ort Irschenberg hängen.
Ohne H.“
Ob ich das mal versuchen sollte?


Ich raffte mich auf, so richtig Lust hatte ich keine mehr. Kurz vor Bad Aibling musste ich auf Reserve umschalten. Jetzt nicht auch noch liegenbleiben, ohne Sprit.
Mit dem letzten Tropfen rollte ich auf eine Tankstelle. Schwein gehabt.
Ich machte das Faß voll, die Tankwartin war voller Mitleid: „Jo meeei, wos fahrst an Du so alloa durchd Nacht? Bist ja ganz durchgfrorn!“
Coffee to go gabs übrigens auch noch nicht an Tankstellen, jedenfalls keinen Guten.

Ich erzählte ihr von meinem Malheur, beiläufig von der Gruppe Berliner mit einem gelben Golf mit Trailer. Sie antwortete, dass sie so einen nicht gesehen hätte.


So richtig Bock hatte ich nicht mehr, durchgekühlt und klamm aufzusteigen und in der Nacht herumzuirren, aber was blieb mir denn übrig.


In Irschenberg gab es auch eine Tankstelle.


Ich hielt an und fragte nach einer Motorradtruppe aus Berlin. Nein, Fehlanzeige.
Gelber Golf mit Hänger?
Ja, so einer war hier!
Ich stotterte schon fast vor Erschöpfung, aber auch aufgeregt, ob es im Ort Hotels gäbe.


Hoffnung.


Zwei im Ort, den Kramerwirt und das Landhotel, und eins außerhalb, aber das ist so eine Einöde, da finden Auswärtige kaum hin.“


Dreimal darf man jetzt raten, welches...


Eine halbe Stunde und einen kurvigen Schotterweg später tauchte vor mir im Dunkel ein schnuckliger Gasthof im Wald auf, und davor stand... Gerhards Golf.


Ich stellte die BMW irgendwo hin, zog nicht mal den Zündschlüssel ab, mittlerweile war es 22 Uhr. Acht Stunden war ich alleine über Landstraßen gefahren. Die Finger und Zehen spürte ich nicht mehr, mir war arschkalt, alles war mir scheißegal, so stieß ich die Tür der Gaststube auf. Dreizehn angetrunkene Augenpaare starrten mich an, die ich kannte. Ich ging wortlos zum Tisch und leerte in einem Zug drei Gläser Obstler, die darauf standen. Die taten so gut. Die Menge johlte, Gerhard wäre fast vom Stuhl gefallen, er hatte sich wirklich Sorgen und Selbstvorwürfe gemacht. Der Schnaps machte mich locker und taute mich auf, und es gab ja auch viel zu erzählen. Schon Stunden zuvor war man übereingekommen, dass man mich abschreiben könnte, Unfall oder so.


Das Oktoberfest war dann nicht der Rede wert, außer das zu der Zeit schon Ausnahmezustand auf der Wiesn war. Wir machten Ausflüge zum Sudelfeld mit unseren Motorrädern, die beinahe auch ein Fiasko wurden, denn einen Tag vorher war Almabtrieb, und wer schon mal versucht hat, bergab auf Kuhfladen zu bremsen... alles ging gut.


Auf dem Weg zurück nach Berlin ging dann noch ein Getriebe kaputt.
Meins natürlich.
Auf der Autobahn nur mit dem 1. und 4. Gang, die anderen waren hin und ließen sich nicht mehr schalten.


Aber auch ich kam diesmal rechtzeitig an.


Auch wenn heutzutage über die Allgegenwart der modernen Technik gemeckert wird, kann man sich schon fragen, ob früher wirklich alles besser war. Immerhin konnte man da sogar in der Zivilisation noch Abenteuer erleben.

Ach so, die Bank hat nur einmal abgebucht.


DBX: MOTORRADGESCHICHTE
 
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