FanR69
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Ein Jahr und 10.000 km Er-„Fahrung“ mit dem Klassiker und der Design-Ikone BMW R 100 RS
Vor gut einem Jahr stand ich vor der Entscheidung neben meine R 69 S und meine R 100 S ein weiteres „technisches Spielzeug“ zu stellen. Was sollte es sein? Wieder ein Boxer? Oder mal etwas ganz anderes? Eine technische Horizonterweiterung, wie z.B. ein „fliegender Ziegelstein“ (BMW K 100)? Oder der „Meilenstein“ der Motorradgeschichte, eine Honda CB 750 Four mit ihrem sagenhaft zuverlässigen und laufruhigen Vierzylinder?
Das Bedürfnis nach einer Langstreckenmaschine, mit welcher auch bei Kälte und schlechtem Wetter auf Schnellstraßen und Autobahnen „Kilometer gefressen“ werden können, ließen meine Überlegungen sehr schnell in Richtung „bahn burner“ wandern. Und zu einem guten „Kilometerfresser“ gehört natürlich eine Top-Verkleidung. Diese sollte zwar umfassenden Schutz vor Wind und Wetter bieten, aber gleichzeitig nicht zu mächtig sein. So bin ich dann - als Classic-Liebhaber- bei der Design-Ikone und dem „Schrittmacher“ der vollverkleideten Sport-Touren-Motorräder gelandet, der BMW R 100 RS. Da war er wieder der gute alte 2-Ventil-Boxer. Wenn auch in seiner letzten Reifestufe, der Version ab Baujahr 1981 mit Plattenluftfilter, leichterer Schwungmaße und optimiertem Ölkreislauf.
Meine BMW ist bis auf wenige (aber wesentliche) Kleinigkeiten serienmäßig. Der sehr sportliche Lenker wurde gegen einen etwas aufrechtere Sitzposition bietenden Lenker der BMW K 75 RS getauscht (Einen Umbausatz mit TÜV- Gutachten gibt es bei WÜDO). Die Nockenwelle wurde gegen eine 320-Grad Nockenwelle gewechselt, die originalen Stößel gegen leichter „Tuning-Stößel“ um bei höheren Drehzahlen die bewegte Masse abzusenken. Im Rahmen der Umstellung auf bleifrei wurde der Zylinderkopf – speziell die Ventilsitze – überholt. Notwendig war nach 50.000 km Laufleistung mit zwei Vorbesitzern der Austausch der Ventile nicht. Es wurde aber bei dieser Gelegenheit gemacht. Vorsichtshalber wurden alle Dichtungen erneuert, die Pleullagerschaalen rein vorsorglich ausgetauscht und die Bremsbeläge sowie alle Öle erneuert.
Weitere Renovierungsmaßnahmen waren nicht nötig, die RS stand mit nur 50.000 km Laufleistung ansonsten optisch und technisch sehr gut dar.
Ob die „schärfere“ Nockenwelle objektiv mehr Leistung bringt habe ich auf dem Prüfstand nie nachgemessen. Ich weiß nur, dass meine RS in den berüchtigten (aber schönen) „Kasseler-Autobahn-Bergen“ jede Steigung mit 170 km/h hoch rennt und dass der Drehzahlmesser sehr schnell in den roten Bereich wandert. Die Beschleunigung legt ab 5000 U/Min. deutlich zu, man kann sagen, der Boxer hat da noch mal richtig „Biss“. Jedenfalls subjektiv mehr als meine R 100 S (Baujahr 1977). Allerdings lasse ich die „alte Dame RS“ nicht regelmäßig so schnell laufen.
Das durchschnittliche Reisetempo auf (leeren!) Schnellstraßen und Autobahnabschnitten liegt so zwischen 150 – 160 km/h. Bei diesem Tempo benötigt der Motor im Schnitt 7,2 Liter Superbenzin.
Auch bei dieser Geschwindigkeit ist der Winddruck auf dem Körper nicht wahrnehmbar, kein Sog im Rücken (wie bei so vielen anderen vollverkleideten Motorrädern). Der Winddruck auf den Kopf/ Helm ist deutlich reduziert, ich schätze so auf etwa 20%. Dass ich überhaupt Winddruck auf dem Helm habe, ist eine Konsequenz der (von mir gewollten) aufrechteren Sitzposition. Dies hat zwei Vorteile: Der (reduzierte) Winddruck reduziert den Lärm des Motors (den die Verkleidung ansonsten wie ein Resonanzkörper verstärkt) auf nahezu Null. Zum zweiten erlaubt die aufrechtere Sitzposition ein deutlich angenehmeres und ermüdungsfreieres fahren. Fahrten in einem „Rutsch“ vom Großglockner zurück ins Rhein-Main-Gebiet waren so keine Tortur, sondern pure „Freude am Fahren“.
Eine Tour über den Großglockner (weil es so schön war bin ich den Pass gleich zweimal gefahren) stellte sich in zweierlei Hinsicht als ideale Teststrecke für die RS heraus: Das schöne Sommer-Wetter schlug um, auf der Passhöhe lagen rechts und links der Fahrbahn meterhohe Schneewälle, die Temperatur lag so um die Null Grad.
Dickere Handschuhe, elektrisch heizbare Kombi, lange Unterhosen, zusätzlicher Pullover???? Nicht nötig! Ich bin in meiner Sommerausrüstung gefahren (klassische englische Belstaffjacke, dünner Lambswool-Pullover, leichte Stiefletten, dünner Lederhandschuhe). Das war hinter der RS- Verkleidung kein Problem. Die querstehenden Zylinder leiten wohlige Wärme auf die Füße, das Unterteil der RS- Verkleidung leitet die Wärme nach oben bis in den Bereich des Beckens. Innerhalb der 10.000km bin ich sehr oft bei Temperaturen zwischen 4 und 8 Grad Celsius über Strecken von 200 km unterwegs gewesen. Das Erlebnis war jedes Mal beeindruckend und das gleiche. Wo Sonne, da ist auch Schatten: Steigen die Außentemperaturen auf 25 Grad Celsius und mehr, liefert die RS- Verkleidung „Sauna kostenlos“. Es wird so unangenehm warm, dass ich auf einer längeren Autobahntour bei diesen Temperaturen nur mit Jeans und dünner Lederjacke begleitet unterwegs war (Sicherheitsbeflissene bitte weg hören!).
Die wunderschöne Passstrecke über den Großglockner zeigte mir auch, dass die Handlichkeit und die Bereitschaft sehr schnell durch enge Kurven zu zirkeln, durch die 10 kg schwere RS- Verkleidung - im Vergleich zu meiner R 100 S - nicht negativ beeinflusst wird. Das Rennen durch die Pässe bereitet mit der RS genauso viel Freude (….. am Fahren!) wie mit der S. Allerdings wollen beide Motorräder im klassischen Stil bewegt werden: Knie hart an den Tank, die BMW mit Hüftschwung durch die Kurven wedeln.
Regelrecht steif und wenig kurvenwillig wird die RS bei höherem Tempo. In schnellen Landstraßenkurven (so ab 110 km/h) ist die RS deutlich weniger agil als die R 100 S. das liegt eindeutig an der Vollverkleidung, die (vom Designer beabsichtigt) das Motorrad ab diesem Tempo stärker auf die Straße drückt. Dieser höhere Anpressdruck sorgt für gute Stabilität bei hohem Autobahntempo. So ab 140 - 160 km/h werden alle BMW 2-Ventil- Boxer auf der Autobahn unruhig und leichtfüßig. Nein gefährlich ist das nicht, aber ungemütlich. Hier sorgt die RS-Verkleidung für spürbar mehr Ruhe (vorausgesetzt die Reifen, der Reifendruck, das Spiel aller Fahrwerkslager ist absolut in Ordnung).
Einen Regenkombi für den Fahrer ersetzt die RS- Verkleidung nicht. Der Fahrer wird bei Regen nass – ganz klar. Aber wegen des fehlenden Windrucks wird der Regen nicht mit Gewalt auf die Kleidung gedrückt. Eine Lederkombi, die Lederhandschuhe werden erheblich später durchnässt. Leider müssen bei Regen auch die Schuhe durch Überzieher geschützt werden, denn der Wind treibt das Wasser zwischen Zylinder und Verkleidung hindurch, die Schuhe befinden sich in der Spritzzone. Das Unterteil der Verkleidung wird sogar von innen eingesprüht.
Reinigungsarbeiten werden aufgrund der Vollverkleidung mühselig und zeitraubend. Am besten man geht mit der Meditationsmentalität von Zen-Mönchen an die Arbeit. Soll die R 100 RS nicht nur sauber, sondern „porentief rein“ werden, benötigt man schon die Mentalität eines ganzen Klosters mit 100 Mönchen. Spaß beiseite: Hochdruckreiniger sind bei den alten Boxermotoren verboten! Ideal ist ein ganzes Set von dicken und dünnen, langen und kurzen Pinseln und Bürsten. Zeitraubend und mühselig ist auch der Wechsel des Ölfilters. Diese Arbeit wird im Wortsinn von Fummelei begleitet. Da ist es schon gut, dass die Verkleidung auch in Teilen schnell demontiert und montiert werden kann.
Alle anderen Wartungsarbeiten (Ventilspiel, Vergaser, Ölstands Kontrolle, etc.) sind problemlos und schnell zu erledigen, so wie bei allen 2-Ventil-Boxern.
Der Fahrkomfort dieses Klassikers ist – auch unter modernen Maßstäben- sehr gut. Leider vibriert der Motor zwischen 4000 U/Min. und 5000 U/min. doch spürbar. Das Kribbeln in den Lenkerenden wird auf langen Strecken richtig unangenehm. Dummerweise ist das auch noch der Geschwindigkeitsbereich rund um 130 km/h. Daher: Richtgeschwindigkeit, Nein Danke. Entweder man fährt um die 110 km/h oder man fährt 140 km/h und mehr. Vielleicht sollte ich doch noch einmal das Gewicht der Kolben, der Pleuel überarbeiten bzw. zwischen beiden Zylindern anpassen lassen. Ob das hilft???
Während der 10.000 km innerhalb von 11 Monaten wurden nur wenige Wartungs-, Reparaturarbeiten nötig: Öl und Filter wechseln, das Ventilspiel musste nur kontrolliert werden, Vergaser synchronisieren, neuer Hinterradreifen und eine neue Dichtung im Kardangehäuse (Hinterrad). Das war‘s. Das ist nun mal die übliche Zuverlässigkeit eines gepflegten BMW 2-Ventilers.
Sie fragen, ob ich die R 100 RS nochmals kaufen würde? Eindeutig JA!
Die R 100 RS ist nicht nur ein stilvoller Klassiker, nicht nur eine Design-Ikone und ein Meilenstein in der Motorradgeschichte (überall wo ich sie parke, stehen sofort Bewunderer vor der Maschine), sie hat auch nach über 30 Jahren immer noch einen hohen Gebrauchs- und Nutzwert. Ach ja, Wertverlust gibt es bei einem solchen Klassiker nicht mehr. Der Wert dürfte eher steigen. Welches moderne Bike kann das bieten?
Gruß,
Fan R69
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