BMW R60/5 Teilrestauration

Papacharlie

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17. Sep. 2019
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Nürnberger Land
Es war nicht lange her, gerade mal ein paar Wochen. Ein warmer, sonniger Tag im März. Die Bäume sind noch kahl, ohne Blätter, die Sonne scheint von einem blauen Himmel ohne Wolken als ich zu einer zweieinhalb Stündigen Fahrt Richtung Südwesten aufbreche. Mein Ziel: ein kleiner Ort in der Nähe von Stuttgart. Was hat sich zugetragen? Eine Woche vorher: In einem plötzlichen Anfall von Frühlingserwachen stelle ich fest, dass immer noch die lang ersehnte /5 in der Sammlung fehlt. In der Mittagspause lese ich den Anzeigenteil der Oldtimer Markt. Abends studiere ich Kleinanzeigen im Netz. Ich stelle fest, dass die Preise für 2-Ventiler gerade güsntig stehen, teilweise sogar richtig im Keller sind. Ich schreibe einen Verkäufer an und teile mein Interesse mit.
Die Maschine, eine BMW R75/5 in augenscheinlich guten, gepflegten Zustand, steht in Berlin. Es kommt über Tage keine Antwort. Dann ist die Anzeige gelöscht. Die Suche geht weiter. Etwas macht mich stutzig. Eine weitere Anzeige, diesmal handelt es sich ume eine R60/5. Anderes Motorrad, anderer Verkäufer. Der Text ist bis auf die Daten genau der selbe wie bei der Maschine in Berlin. Eins zu eins abkopiert. Ein Betrüger der falsche Anzeigen schaltet? Dieses Inserat ist jedoch schon einige Zeit länger online, was mich vermuten lässt, dass es sich hierbei um den original Text handelt.
Die Maschine wird als Restaurationsobjekt beschrieben. Steht, seit 15 Jahren nicht gelaufen, Motor dreht, keine Startversuche unternommen etc. Ich schreibe den Verkäufer an der auch kurze Zeit später Antwortet. Wir besprechen alles weitere am Telefon, der Verkäufer macht einen sympathischen Eindruck. Er erzählt mir, er habe noch einige andere Maschinen und hat die BMW vor Jahren gekauft um sie zu restaurieren, seit dem steht sie in seiner Garage. Da er zeitlich nicht mehr dazu kommt, möchte er sie nun veräusern.

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Wir vereinbaren einen Termin und an besagtem Frühlingstag im März mache ich mich also auf den Weg Richtung Stuttgart. Als ich dort ankomme hat der Verkäufer die BMW bereits vor der Garage aufgestellt. Es ist ein /7 Tank sowie eine /7 Sitzbank montiert. Des weiteren eine meiner Meinung nach eher seltene Hugo Fränkel Verkleidung. Ich inspiziere die Maschine. Der Schalthebel lässt sich nicht bewegen, der Grund ist schnell gefunden. Die linke Fußraste ist nach oben gedreht, festgezogen und drückt gegen den Hebel. Und auch ansonten sieht man Ihr die lange Standzeit an. Die gesamte Technik muss überholt werden. Die Elektrik im Lampentopf ist vermurkst, machne Leitungen scheinen willkürlich zusammengeklemmt. Der linke Auspufftopf ist großflächig geschweißt.
Alles in allem genau das was ich jetzt brauche. Wir wurden uns über den Preis einig und ich verlud die Maschine und zurrte sie gut fest. Daheim angekommen wurde sie sogleich in meine kleine Werkstatt verbracht und erstmal grob gesäubert. Verkleidung, /7 Sitzbank und Tank wurden demontiert. Mein Ziel war es die Maschine in original Zustand zurück zu versetzen. Einen guten Tank trieb ich günstig über Kleinanzeigen auf. Und nicht nur günstig: er lag in meinem Nachbardorf. Manchmal hat man auch Glück.

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Ich fing an die Maschine zu zerlegen. Den Rahmen beschloss ich auf Grund der guten Lacksubstanz nicht komplett zu lackieren. Ebenso zerlegte ich den Motor nicht. Dieser bekam nur eine neue Ölwannendichtung, Ventildeckeldichtungen und einmal Service, Öl- und Luftfilter, Ventilspiel und Zündung wurden eingestellt und aufgearbeitet. Die Felgen mussten ein bisschen nachzentriert werden, anschliesend kamen neue Reifen drauf und die Räder wurden ausgewuchtet. Vorne und hinten wurden die Bremsbacken erneuert.

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Als ich am Endantriebsgehäuse das Öl ablies dann die Offenbarung: sämtliche Gewinde defekt, teilweise fand ich defekte HeliCoil Einsätze vor. Ich bekam alles entfernt, besorgte mir die benötigten Werkzeuge und fing an die Gewinde instand zu setzen. Teilweise musste ich neue HeliCoils setzen, teilweise auf die nächste Größe bohren und schneiden. Hat dann aber letztendlich ganz gut geklappt. Der Endantrieb wurde bei der Gelegenheit gleich neu abgedichtet.

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Die Vergaser wurden zerlegt, grob gesäubert und kamen ins Ultraschallbad. Nachdem alles schön sauber war wurden alle Dichtungen erneuert und die Vergaser mit neuen Isolierbuchsen montiert. Die Montage mit den neuen Buchsen ging sehr schwer. Wird ein Spaß wenn die mal wieder runter müssen.

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Während der Arbeiten stellte ich fest, dass die Maschine mal einen Unfall gehabt haben muss. Das Zentralrohr ist kurz hinter dem Rahmenkopf leicht gestaucht, ebenso haben die Unterzüge unterhalb der Knotenbleche eine leichte Deformation. Darüber machte ich mir aber noch keine Gedanken.

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Die Gabel wurde mit einem Reparatursatz überholt. Ich demontierte und zerlegte das Teil wobei ich feststellte, dass die untere Dämpferschraube in einem Gabelholm defekt war, Gewindegänge abgedreht. Gibts zum Glück als Ersatzteil. Als ich besagtes Teil montierte, riss das Gewinde des Neuteils ab noch bevor die Mutter fest wurde - Materialfehler. Also nochmal bestellt, hab ich dann kulanterweise um sonst bekommen. Das Teil hielt dann und nach der Ölbefüllung war alles schön dicht.

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Parallel arebitete ich am Lacksatz. Das hieß zuerst mal schleifen. Alles schön anschleifen und für die Lackierung vorbereiten. Grundiert wurde anschliesend mit Epoxygrundierung. Nachdem diese durchgehärtet und feingeschliffen war, machte ich mir über die Linierung Gedanken. Liniert hatte ich bis dahin noch nie. Die Breite und Position der Streifen konnte ich an einem original Tank ausmessen. Dann kam die Frage auf nach der Technik diese auf den Tank zu bringen. Handlinierung? Müsste ich machen lassen, ohne Erfahrung selbst von Hand zu linieren würde kein sauberes Ergebnis zu Tage fördern. Aufkleben und einlackieren wäre noch eine Option. Dann spürt man höchstens einen kleinen Übergang unter dem Klarlack. Ich entschied mich dann alle Teile an den betreffenden Stellen weiß zu lackieren, anschließend die Linierung abzukleben und nach dem Decklack die Klebebänder zu entfernen und den Klarlack aufzubringen.

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Ich besorgte Linierbänder in passender Breite und ging ans Werk. Um den Abstand zwischen breiter und schmaler Linie einzuhalten klebte ich auch dazwischen einen Streifen der dann wieder entfernt wurde. Sah danach richtig scheiße aus. Alles total eckig. Das Linierband war auch nicht der wahre Jakob. Lies sich nicht richtig ziehen um die engen Radien. War auch das billig Klebeband. Das gute Radienband gibt es aber leider nicht in der benötigten Breite. Also alles nochmal runter und frei Hand abgeklebt. Mit ein bisschen Übung und nach der vierten Fläsch Bier ging das sehr gut.

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Anschließend wurde alles in Avus Black lackiert, danach die Linierbänder abgezogen und mehrere Schichten Klarlack lackiert. Finish dann mit 3000er Papier und anschliesend poliert.
Dann folgte die Endmontage. Viele Kleinteile und Gummiteile wurden erneuert. Die Fußrastengummis wurden in heißem Wasser geschmeidig gemacht und liesen sich so wiederstandslos montieren.

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Der Tank bekam neue Kniekissen und rechts einen neuen Benzinhahn, die vorher schon montierten /6 Seitendeckel übernahm ich aus optischen Gründen. Zwischendurch wurde die Elektrik überarbeitet und der Zündzeitpunkt statisch eingestellt. Was den Sattel anging entschied ich mich für eine Behördensitzbank. Da auf Grund des Verkleidungsumbaus die originalen Lampenhalter fehlten, besorgte ich diese auf dem Gebrauchtteilemarkt. Einer davon platzte bei der Montage der Länge nach an den Schweißpunkten auf - natürlich nicht bei der ersten Anprobe sondern nach dem Lackieren, ist ja logisch. Also an den original Stellen gebohrt, punktgeschweißt und wieder lackiert.

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Als sie dann soweit fertig war kam die Erstbefüllung des Benzintanks. Öle in Motor, Getriebe und Antrieb waren bereits aufgefüllt. Die Benzinhähne wurden geöffnet und alle Verbindungen der neuen Benzinschläuche auf Dichtheit kontrolliert. Zündung ein, alle Kontrollampen funktionieren. Vergaser geflutet, ein paar Umdrehungn mit dem Anlasser und sie sprang an und lief. Die Freude war natürlich riesig. Nach erfolgter TÜV Abnahme und Zulassung wurde dann gleich die erste Probefahrt unternommen. Am betriebswarmen Motor wurden dann die Vergaser eingestellt. Für die Leerlaufgemischeinstellung benutzte ich Color Tune Zündkerzen, um die Vergaser zu synchronisieren, drehte ich die Ansaugkrümmer um 180° nach außen.
Danach wurde nochmal die Zündung abgeblitzt. Eine neue Auspuffanlage bzw. neue Schalldämpfer werden demnächst noch montiert.

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Alles in allem habe ich für das Projekt sieben Wochen gebraucht und es macht Hölle Spaß damit zu fahren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was das Heck angeht werde ich noch einen Gepäckträger montieren.
Im Achsantrieb sah alles unauffällig aus, das Kugellager ohne nennenswertes Spiel. Den Simmerring habe ich bis jetzt bei jedem Antriebsgehäuse erneuert. Hatte ich mal bei meiner R100 RS das Problem. Dort hatte ich nach jeder Fahrt Ölspritzer an der Hinterradflanke. Hab abgedichtet wie ein Weltmeister, hat aber alles nichts gebracht. Irgendwann hab ich dann rausgefunden, dass das Öl von den Stösselrohrdichtungen kommt und durch den Fahrtwind nach hinten geweht, genau auf den Hinterreifen trifft. Als die erneuert waren war Ruhe.
Grüße
 
Schön geschrieben, tolles Motorrad (y)
Bzgl. dem abkopieren von Verkaufstexten, dass mache ich auch gerne wenn gut geschrieben, es mit meinem Produkt übereinstimmt und ich zu faul bin ;).
 
Tolle Arbeit! Was ist mit dem Rahmen? Du schreibst, dass er leicht gestaucht sein soll. Laufen die Räder in der Spur?

Gruß Mane
 
Danke an alle für euer Feedback. Das Fahrwerk habe ich nicht vermessen. Die Stauchung ist auch eher gering, optisch über die Räder gepeilt erkennt man nichts und die Maschine fährt in allen Geschwindigkeitsbereichen schnurgeradeaus und geht sauber in die Kurven.
 
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